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Der erste Morgen in Sülz (Mein Heimerlebnis)

Jürgen @, Oranienburg, Donnerstag, 18.06.2009, 10:39 (vor 5398 Tagen)

Es war ca. ende Mai 1967 - ein Freitag.

Ich weiss heute nicht mehr was ich letzte Woche gegessen habe,
aber daran erinnere ich mich genau.

Ich war 6 und spielte mit meinen Geschwistern im Sandkasten.
Da sprach uns eine Frau an. Das Ergebnis war, das wir in einem großen schwarzen
Mercedes nach Sülz ins Kinderheim gebracht wurden - aus dem Sandkasten heraus.
Das war das letzte mal das ich meine Geschwister sehen sollte...... (bis heute)
Ich war also jetzt im Heim.
Oft hat meine Mutter damit gedroht, jetzt hat das Jugendamt die Initiative getroffen.

Samstag - der erste Morgen in einer neuen Welt.
Waschen, anziehen, beten, frühstücken und dann wurde sich versammelt zum "kitschen".
Was in aller Welt ist "Kitschen"???
"Das wirst Du noch sehen" sagte Fr. Gisela.
Wir gingen also unterirdische Wege und waren dann in einem Raum in der ein sehr großer Tisch stand
um den wir aus alle aufstellten. Eine Stoffrolle wurde ausgerollt in der sich kleine Messer befanden.
Wie alles was man benutzte hatten auch die Messer eine Nummer.
Ich war die Nummer 4, also war Messer Nr. 4 meins.
Sehr große Kübel, Crome glänzend, kippten den Inhalt auf den Tisch.
Einer nach dem anderen.......
Unmengen von Kartoffel machten sich breit.....
Ich hatte bis dahin noch nie sooooo viele Kartoffeln gesehen.
Sie waren vor geschält. Wir mussten die Kitschen heraus schälen.
Es wurde extrem aufgepasst das nicht zu dick geschält wurde, den wo anders auf der Welt
hungern Kinder.
Da ich bis dahin noch nie in meinem Leben eine Kartoffel geschält hatte, tat ich mich sehr schwer.
Kein Wunder das ich ständigen Gemeckere ausgesetzt war.
"Wenn du nicht dünner schälst wirst du eine Woche die Abfälle essen!"
Kurz und gut, dem war dann auch so.
Nach 2 Tagen hatte der Koch, der in der Gruppe meine "Extrawurst" kochen musste, wohl Mitleid.
Er bratete echt leckere Kartoffel-Kitschen.
So lecker das die anderen in der Gruppe schon fast neidisch waren.
Für mich war es keine Überwindung dies zu essen - im Gegenteil.
Leider wurde dies bemerkt.
Sofort musste ich die selben Kartoffeln essen wie die anderen.

So ist das also im Heim.
Aber wenn man denkt es kann nicht mehr schlimmer kommen...................

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Warum ich zu zweifeln begann

Jürgen @, Oranienburg, Donnerstag, 18.06.2009, 11:20 (vor 5398 Tagen) @ Jürgen
bearbeitet von Klaus Grube, Donnerstag, 18.06.2009, 13:47

Ja, ich war mal ein frommer Katholik.
Ich wollte Priester werden.
( Sorry, aber ich war noch jung und kannte ja fast nichts anderes )
War Messdiener, ging fast immer gerne in die Kirche und glaubte - auch an Pastor Hildebrand.
( Kann aber auch sein, das ich, was Pastor Hildebrand anging, auch nur Angst hatte. )
Gerne habe ich die Frühmesse in Latein gedient.
Mit den Ordensschwestern und ich alleine als Messdiener.
Diese Messen diente nur ein Messdiener.
Früh Morgens machte ich mich auf den Weg zur Kirche.
Zu früh - ich freute mich ja drauf.......
Angekommen ging ich die Treppen hinauf in die Kirche.
Es war ganz ruhig.
Man hörte den Wind.
Noch keiner da.
Ein schöner ruhiger Ort.
Man hat uns ja auch beigebracht sich in einem Gotteshaus ruhig zu verhalten.
Also ging ich, lieb wie ich war, ruhig nach vorne zur Sakristei.
Erst ist man in einem Vorraum, dann muss man eine Treppe nach unten gehen.
Dort ist dann der Ausgabe Tresen für die Kleidung.
Ich war wohl zu ruhig, denn was sah ich von der Treppe aus die ich schon halb runtergegangen war??

Pastor Hildebrand der den Akt der niederen Triebe mit einer Ordensschwester zelebrierte!!!! (danke Klaus)

Sofort ging ich die Treppen wieder hoch und dann zurück in meine Gruppe.
Ständig fragend was die da machten. Ich wusste nicht was da geschah und fand natürlich auch keine Wore dafür.
Nur eins war mir klar - das kann doch nicht in Ordnung gewesen sein.
So seltsame Geräusche, eine Ordensschwester quer liegend auf dem Ausgabe Tresen.........

Später kam Pastor Hildebrand in die Gruppe und Beschwerte sich bei Schwester Odilia das ich nicht gedient hatte.
Sie fragte mich, im Beisein von Hildebrand warum ich nicht in der Messe war.
Da stand ich kleiner Gläubiger und konnte nicht beschreiben was ich sah und fand auch, wie schon gesagt, keine Worte dafür.
Nun dachte man der kleine Jürgen ist stur.
Ich muss wohl nicht erwähnen das ich dafür noch bestraft wurde.

Aber an diesem Tag fing ich richtig an zu zweifeln.
Nicht an den Glauben an Gott an sich, aber dessen Stellvertreter auf erden.
Zumal ich Pastor Hildebrand ja auch als Religionslehrer kannte.
Mit seinem dicken Schlüsselbund und seinen großen kräftigen Händen......

Wie sollte ein kleiner Junge diese Doppelmoral gedanklich in die richtigen Bahnen bekommen.
Zumal ich die Bedeutung und das Wort Doppelmoral nicht kannte.

Anmerkung von Klaus Grube(Admin):
Zum Pastor:
Der Pastor heisst Hilberath und nicht Hildebrand
Zu Danke Klaus: Verzeiht mir, den Akt der Liebe wollte ich etwas blumiger beschrieben haben als im Forum zu lesen "und sah wie der Pastor die Nonne .....e" (könnte es hier heissen liebte?)
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Warum ich zu zweifeln begann

Altafulla @, Eschweiler bei Aachen, Donnerstag, 18.06.2009, 18:57 (vor 5398 Tagen) @ Jürgen

Hallo Jürgen an diesen Schlüsselbund kann ich mich auch noch sehr gut erinnern.Denn ich hatte diesen Pastor als Religionslehrer und jeder der im unterricht nicht aufgepasst hat bekamm diesen schlüsselbund nachgeschmiessen.
Und seine Wutausbrüche zu spüren.
LG. Liane

Warum ich zu zweifeln begann

J.Welt @, Sankt Augustin, Mittwoch, 05.05.2010, 07:53 (vor 5077 Tagen) @ Jürgen

Hallo Jürgen,
das ist ja ne absolute Knaller Geschichte. Ich hab die jetzt erst gelesen und stell mir die ganze Zeit vor, was ich wohl gemacht hätte, wenn ich die beiden in Flagranti erwischt hätte. War ja auch lange Messdiesner, später auch in de Frühmesse, und hab noch sehr starke und lebendige Erinnerungen daran. Wieso hab ich das damals nicht mitgekriegt, haben wir nicht untereinander die geschichten über Hibbi ausgetauscht. Oder war ich so brav, das ich das alles sofort verdrängt habe. Aus lauter Angst, das ich schon als Mitwisser quer duch die Saktistei geprügelt worden wäre. Wie dem auch sei, ich hätte von da ab meine samstägliche Pflichtbeichte mit einem anderem Gefühl dem Hibbi gegenüber abgeleistet.

Lieben Gruß
Josef

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Warum ich zu zweifeln begann

Klaus Grube ⌂ @, Hellenthal, Mittwoch, 05.05.2010, 09:29 (vor 5077 Tagen) @ J.Welt

Hallo Josef,
an dieser Geschichte habe ich auch zuerst gezweifelt. Nicht das ich es nicht Glaube, sondern vielmehr das nichts aber auch garnichts unter uns ausgetauscht wurde. Angst, Scham, Prügel oder andere Sanktionen - wer weiss.

Die jenigen die den Mut damals hatten, den Ordensschwestern oder wen auch immer zu erzählen, was Hibbi mit uns anstellte, wurden verprügelt. Ein Pfarrer war schlisslich glaubwürdiger als wir.

Grade bei sexuellen übergriffen scheint es eher so gewesen zu sein, dass Ehemalige damals damit nicht unter uns hausieren gingen. Nur so ist zumindestens bei mir die Unglaubwürdigkeit zu erklären. Jetzt weiss ich es besser und Glaube diesen Aussagen.

Und genau das ist es was mich fälschlicher Weise dazu verleiten liess, u.a. Peters Henselder Schilderung über die sexuellen Übergriffen vom Hibbi als Unglaubwürdig abzukanzeln.

--
Es gibt immer einen Weg zu uns allen - wir müssen es nur wollen
Mit lieben Grüßen euer Klaus
Internet: http://www.kinderheim-Koeln-suelz.de
Verantwortlich und Kontakt: https://kinderheim-koeln-suelz.de/?page_id=28

Der erste Morgen in Sülz

imi @, Kaiserslautern, Donnerstag, 18.06.2009, 13:34 (vor 5398 Tagen) @ Jürgen

Fuer den Tag hat wohl so jeder seine besondere Erfahrung.
Uns brachte kein Mercedes. Unsere Mutter musste uns mit dem Bus Linie 32 bringen und im Heim abliefern. Durch die Pforte kammen wir zusammen. Da war eine grosse verschlossenen Glastuer, wo eine Nonne uns in Empfang nahm, meine Mutter musste draussen bleiben und zerrte uns den langen Gang der Aufnahme runter. Am Ende ne kleine Halle u. Treppenhaus (da war auch mein Kindergarten fuer 4 Wochen). Wir wurden in den Keller gezerrt, mussten uns ausziehen und wurden in getrennte Wannen gepackt. Das Wasser war hoellisch heiss und reichte mir stehend bis unter Kinn. Ich hab geschrien. Dann tauchte eine Wurzelbuerste auf und ich wurde geschrubbt. Werde das und die Schmerzen nie mehr vergessen.
Weiss nicht wie ich das ueberlebt habe.
Auch wusste ich da noch nicht das das nur ein kleiner Vorgeschmack war auf das, was dann folgte. Fuer Jahre - unbegreiflich, ich LEBE noch

imi

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Der erste Morgen in Sülz

Dave ⌂ @, Karlsruhe, Montag, 22.06.2009, 15:39 (vor 5394 Tagen) @ imi
bearbeitet von Dave, Freitag, 26.06.2009, 08:33

der erste Morgen war der Morgen an den ich mich mit 9 oder war ich 10 in der Gruppe Nordhausen wieder fand.


Ich bin meiner Alkfamile (alle schon verstorben) entronnen und bin mit 9 oder 10 selber zum Jugendamt und bat um Hilfe)


Der Mann war aber eine nette Begegnung und da fühlte ich mich eigentlich aufgehoben doch nach 2 Monaten verfachtet man mich wieder erst mal in ein anderes Heime welches hier ja nicht Thema ist.....


Für die Neugierigen es war Köln-Brück.


Was gewesen wäre wenn ich nicht ins Heim gekommen wäre.... ich weiss nicht was nun schlimmer war....

--
Mit freundlichen Grüssen aus Stutensee / Baden

Dave Reutlinger
____________________________________
www.Infotainment-Channel.de

Der erste Morgen in Sülz

Tigger, Gebhardshain (Westerwald), Montag, 22.06.2009, 19:18 (vor 5394 Tagen) @ Dave

Ich kam mit 5 oder6 Jahren zu Pflegeeltern ..Von wegen die Sorgen für mich ,die haben auch nur ihre Macht ausgenutzt...Es konnte nur besser werden ,als ich dann nach Köln Sülz kam. Damals kam ich in diese Aufnahme Gruppe..
Ich hab nicht viel Erinnerungen daran ,aber es war ein gutes Gefühl dort zu sein.Was ich in den Jahren auch nicht leugnen kann..

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Der erste Morgen in Sülz

Michael Sturmann @, Köln, Dienstag, 23.06.2009, 21:39 (vor 5393 Tagen) @ Tigger

hallo an alle
an meinen ersten (27. April 1962) Morgen in Sülz kann ich mich nich erinnern ,weil ich da noch zu klein war.später erfuhr ich das ich 24 Tage alt war.
dafür aber an meinen letzten ( 2.Oktober 1980 ) Tag 18 Jahre später.

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Der erste Morgen in Sülz

hütchen @, köln, Sonntag, 02.05.2010, 20:25 (vor 5080 Tagen) @ Jürgen
bearbeitet von hütchen, Sonntag, 08.10.2017, 16:16

hallo jürgen,

hab gerade etwas nachgelesen und bin dabei auf folgende zeile von dir gestoßen:

Das war das letzte mal das ich meine Geschwister sehen sollte...... (bis heute)

falls es dir möglich ist darüber zu reden, würde ich gerne wissen ob das bedeutet, dass du deine geschwister bis zum heutigen tage nie wieder gesehen hast.

und wenn ja, warum du sie nie wieder gesehen hast?

gruß
mo

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Der erste Morgen in Sülz

Jürgen @, Oranienburg, Montag, 03.05.2010, 18:10 (vor 5079 Tagen) @ hütchen
bearbeitet von hütchen, Samstag, 12.10.2013, 11:12

Hallo Hütchen,

nach dem wir in Sülz eingeliefert worden sind, wurden meine Geschwister
nach Leichlingen "versetzt".
Ich habe schon u.a. mit Herrn Koch telefoniert.
Es gibt absolut keine Aufzeichnungen von mir oder meinen Geschwistern.
Es ist so als hätten wir nie existiert.
Das macht es nicht einfacher herraus zu finden wo meine
Geschwister abgeblieben sind.
Zu guter letzt läuft alles auf das eingestürzte Kölner Archiv raus.......
Kommt mir fast schon wie eine willkommende Ausrede vor.

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Der erste Morgen in Sülz

hütchen @, köln, Montag, 03.05.2010, 19:12 (vor 5079 Tagen) @ Jürgen
bearbeitet von hütchen, Samstag, 12.10.2013, 11:12

das tut mir sehr leid für dich.
(vielen dank für deine antwort)

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